5 Fragen an Christian Pabst

5 Fragen an Christian Pabst

Christian Pabst (Copyright: Dainis Kaulins)

Unlängst veröffentlichte Christian Pabst das Album „Balbec“ für das er sich vom Marcel Prousts Roman „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ inspirieren ließ. Vielen Dank für einen Einblick in deine Sichtweise zu den Themen Komposition /Improvisation Klangvorstellung und mehr.

Was macht für dich interessanten aktuellen Jazz aus?


Für mich schafft interessanter aktueller Jazz immer den Brückenschlag zwischen Tradition
und Moderne. Es gefällt mir zu Hören, wenn eine Band ein starkes musikalisches
verwurzeltes Fundament hat und darauf aufbauend Neues anstrebt. Wichtiger ist für mich
jedoch, dass ich als Zuhörer das Gefühl habe, dass die Musiker das meinen, was sie
spielen und mir etwas Wichtiges kommunzieren wollen und müssen. Dabei ist es für mich
zweitrangig, ob das eine wilde verschachtelte freie Kollektiv-Improvisation oder die lyrisch
gespielte Melodie einer bekannten Ballade ist. Ich möchte Musik erleben und mich durch
sie in eine andere Welt transportieren lassen. Manchmal war ich da schon, aber wenn ich
noch nicht dort war – umso besser! Mit meinen Studenten übe ich des Öfteren “urteilsfreies
Hören” – statt nach 30 Sekunden einem Klang direkt ein Label aufzudrücken wie “alt” oder
“neu” suchen wir gemeinsam eine tiefere Beschäftigung mit Musik, in der man sich selbst
offen für Neues stellt und somit auch etwas über sich selbst lernt.

Du hast dich sehr mit dem 2. Great Quintet von Miles Davis beschäftigt. Was
hast du für dein heutiges Spiel daraus gelernt?


Dass Jazz die Musik des Momentes ist und vom risikofreudigen Spiel lebt. Dass man sich
während des Miteinander Musizierens von vorab festgelegten Ideen und Meinungen
loslösen und sich komplett dem Augenblick anvertrauen muss, um gemeinsam Neues
schaffen zu können. Dass man sich der Musik blind anvertrauen kann, weil sie einen
tragen wird.


Wie wichtig ist die Form des Stücks für dich beim Improvisieren?


Sehr wichtig. Auch hier inspiriert mich das zweite Miles Davis Quintett sehr, denn die
Musiker haben es geschafft Standards auf eine Weise zu spielen, dass oft auch geschulte
Hörer das Gefühl für die Form verlieren. Die ist jedoch immer da und wird immer gespielt.
In gewisser Weise könnte man sagen, dass die Form viel wichtiger ist als bei Ensembles,
die sie strikt klar und deutlich markieren. Denn wenn man die Grenzen zwischen formalem
und freiem Spiel aufsuchen möchte, muss man die Form eines Stückes tief verinnerlichert
haben. Wie weit kann ich musikalisch gehen ohne ein Stück zu verlassen? Im zweiten
Miles Davis Quintett wurde das zum Beispiel mit Hilfe von unterschiedlichen Tempo-
Interpretationen oder dem Konzept, dass jeder Solist sein Solo in der Form anfangen und
aufhören konnte, wo wer wollte, erreicht. Das finde ich sehr spannend, denn dadurch
kann man mit einem Stück immer wieder auf eine neue Reise aufbrechen statt sich
konstant im Kreis zu drehen.


Dir ist eine gemeinsame Klangvorstellung in einer Band sehr wichtig. Wie arbeitest
du an der Umsetzung dieser Vorstellung?


Musikalische Ideen haben für mich persönlich ihren Ursprung immer in einer anderen
nicht-musikalischen Quelle. Das kann eine bestimmte Stimmung einer literarischen Szene
sein, die Erinnerung an einen bestimmten Moment meines Lebens oder ganz einfach eine
Landschaft. Oft ist diese erste Inspiration für mich sehr konkret. Diese versuche ich dann
an meine Bandkollegen zu vermitteln, sodass bei allen musikalischen Entscheidungen
immer dieses erste Bild im Auge behalten wird. Ein einfaches Beispiel: auf meinem neuen
Album “Balbec” gibt es ein Stück, das heißt “Snow” bei dem ich ein Bild von in Slow-
Motion herunterfallenden Schneeflocken im Kopf hatte. Deswegen hört man ganz leise auf
der meditativen Basslinie ein Delay, das dieses Bild verstärkt. So entsteht Stück für Stück
ein Arrangement, dessen Entwicklung für uns alle überraschender sein kann, weil es nicht
um technische Details geht (denn dafür ist jeder einzelne Musiker selbst verantwortlich),
sondern um das gemeinsame Erschaffen eines Bildes mit klanglichen Mitteln.


Wo verläuft bei dir die Grenze zwischen Komposition und Improvisation?


Im besten Falle existiert diese Grenze nicht. Für mich ist die interessanteste Musik die, in
der die Komposition improvisiert klingt und die Improvsation komponiert. In der es einen
mühelosen intuitiv wahrnehmbaren Fluß gibt, der einen an diese Grenze nicht denken
lässt.

Infos zu Christian Pabst gibt es aus seiner Webseite

www.christianpabst.com

Sein neues Album gibt es unter anderem auch hier:

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