5 Fragen an Philipp Gropper

5 Fragen an Philipp Gropper

2021 wurde zum ersten Mal der deutsche Jazzpreis verliehen, der in gewisser Weise als Nachfolger der eingestehen Echo Musikpreises gesehen werden kann.  Philipp Gropper´s Philm wurde dabei als Band des Jahres Ausgezeichnet. Ich freue mich darüber, dass Philipp Gropper die Zeit gefunden hat, 5 Fragen für das Jazziversum zu beantworten.

Was macht für dich interessanten aktuellen Jazz aus?


Schon immer war es das Wesen dieser Musik, offen für alle möglichen Einflüsse zu sein und schnell reagieren zu können, sehr schnell. Jazz ist so unüberschaubar vielgestaltig, dass es eigentlich absurd ist, Musik unter diesem Namen zusammenfassen zu wollen. Grundsätzlich finde ich es immer spannender und überzeugender, wenn Leute nicht kopieren, sondern suchen. Ich denke, es geht eher um eine Haltung als um Stilistik etc. Eigentlich möchte ich es noch drastischer formulieren: Jazz in seinen unzähligen Idiomen lässt sich nicht reproduzieren oder kopieren, oder zumindest bleibt zwangsläufig immer das Funkeln und das Feuer auf der Strecke, das jeweils nur im zeitlichen, sozialen und politischen Kontext  entstehen konnte. Das, was wir heute als traditionell bezeichnen war immer eine Erweiterung oder sogar ein Bruch, etwas Neues und genau daher kam auch die jeweilige Energie und Brisanz, die gleichzeitig eine zeitlose Größe sicherte.  Wird etwas in einer zuvor gefundenen Stilistik heute nachgespielt, fehlt immer das Gefühl, eine Reise in die Zukunft zu unternehmen, bzw. direkt aus einer Zeitung zu spielen, wie Wayne Shorter es in den späten 50ern tat. Trotzdem ist es absolut nachvollziehbar und wunderbar, wenn Leute diese Idiome aus der Vergangenheit pflegen und aufführen, es ist dann auf eine Art vergleichbar mit dem, was überwiegend in der Europäischen Klassik passiert.
Ich möchte noch anmerken, daß für mich das Entwickeln und Suchen ganz klar und immer vor allem eine Auseinandersetzung mit der afroamerikanischen Musiktradition ist, egal wie weit meine Musik sich öberflächlich betrachtet davon entfernt hat.


Wie wichtig ist dir „Schönheit“ und „Harmonie“ beim Improvisieren und Komponieren?


Um auch provokativ zu antworten: Oberflächlich „schöne“ oder „harmonische“ Musik kann für mich unerträglich sein! Es geht doch auch hier wieder um Eleganz der Haltung und Logik, darum, wieviel Liebe und Sorgfalt in den Tönen steckt – letztlich um Haltung, Seele und Charakter und nicht um das gespielte Material.
Ich glaube, es entstehen Missverständnisse, wenn Musik sich von Gewohntem entfernt: Leute finden dann keinen Halt in Vertrautem und denken schnell, man wolle verstören oder verschrecken, oder dass es einen Zerstörungswillen gäbe – nicht meine Motivation. Schönheit wird oft mit Vertrautheit verwechselt.
Schönheit – abgesehen davon, dass dies eine subjektive Angelegenheit bleibt – lässt sich doch in den verschiedensten Richtungen und Zuständen finden und vor allem da, wo Leute sich trauen, zu Ihrer eigenen Definition von Schönheit zu stehen. Warum sollte es in der Musik einen Unterschied geben zu anderen Bereichen des Lebens?
Am Beispiel der Harmonie erklärt: Ich habe ziemlich früh angefangen, mich mit George Russels Lydian Chromatic Concept of tonal improvisation zu befassen. Dort geht es nicht um Richtig oder Falsch bzw. Schön oder Schräg. Russel erweitert die harmonische Sprache graduell um bestimmte Töne, die jeweils andere Färbungen und Stimmungen bringen. Das hat meine Hörgewohnheit und meine eigene harmonische und melodische Sprache sehr geprägt. Eine Moll – Terz beispielsweise über einen Dur – Akkord oder auch umgekehrt klingt dann nicht falsch oder hässlich, sondern wie eine Farbe, die eben etwas anderes ausdrückt.
Je nachdem, wie der Begriff Schönheit definiert wird, birgt er vor allem die Gefahr sehr einschränkend zu sein.


Wie weit planst du den Verlauf einer Improvisation voraus und wie wichtig sind dir Impulse von Mitmusikern?


Im Idealfall plane ich gar nicht. Spielen wir Kompositionen, geben diese den Rahmen, der kontinuierlich als gemeinsame Basis einen Zusammenhang schafft. Je vertrauter eine Band und die einzelnen Musiker*innen mit dem Rahmen  sind – dieser kann rhythmischer Natur sein oder harmonischer etc. –  desto spontaner und freier lässt sich in jede erdenkliche Richtung gehen. Impulse der anderen sind Voraussetzung, wie beispielsweise in einem Gespräch! Dieser Zustand beim Spielen überträgt, so hoffe ich, auch die meisten Funken aufs Publikum.


Wie wichtig ist für dich das Verhältnis von großem Bogen und Kontrolle über jeden einzelnen Ton?


Große Bögen und Kontrolle über jeden einzelnen Ton schließen sich nicht gegenseitig aus! Es gibt natürlich auch Zustände, in denen es nicht um jeden einzelnen Ton geht, vergleichbar mit einem Vogelschwarm. Der Flug des einzelnen Vogels ist dort nicht so wichtig, fast beliebig, in der Gesamtheit aber ergibt sich die große Form des Schwarms. Auch andersherum kann aus einem speziell geformten Ton ein zwingender großer Bogen entstehen. Vielleicht gibt es hier häufig ein Missverständnis:

Kontrolle ist für mich in diesem Kontext ein irreführender Begriff, da wir letztlich versuchen, der Situation und dem Flow zu folgen und diesen Kräften die Gestaltung der Töne zu überlassen, nicht aber, aktiv zu kontrollieren. Das Kontrollieren passiert allerdings früher, im endlosen Prozess des Übens und Verinnerlichens. Wenn im Flow nicht aktiv kontrolliert wird, klingen die Töne dennoch nicht zufällig oder unkontrolliert, vergleichbar mit eine(r) Boxer (in) der Haken wurde zigtausend Mal trainiert und wird so auch als Reflex mit technischer Brillanz geschlagen.

Interaktion und aufeinander reagieren scheint ein wichtiger Punkt in deinem Spiel zu sein. Hast du das gezielt geübt? Wenn ja, wie?


Wirklich zuzuhören ist fast die größte Aufgabe. Den anderen und sich selbst zuzuhören, nicht zu denken oder irgendetwas abzuspulen. Oft reicht die Kapazität gar nicht aus, um allen in einer Band genau zuzuhören. Meist richtet sich der Fokus auf bestimmte Details und den Rest nehme ich eher am Rande wahr, atmosphärisch, energetisch. Die Frage ist immer: Was kann ich der Musik geben, was braucht sie? Verschmelzen, Kontrastieren etc.
Ich glaube, eine Voraussetzung ist, sich mit dem Instrument und den verschiedenen musikalischen Parametern vertraut zu fühlen – eine endlose Aufgabe. Je mehr verinnerlicht ist, desto mehr Kapazitäten habe ich, mich für die nächste Sphäre zu  öffnen und zu hören. Bei den meisten Konzerten passiert es für Momente, bei ganz wenigen ist es der Dauerzustand: Das Gefühl, es spiele etwas durch einen hindurch, kein Denken oder aktives Entscheiden, ein großer Flow mitten in der Musik. Das ist der Zustand, den wir immer erreichen möchten .
Hier ein Link zum Thema, der wundervolle Jerry Granelli:

 

Eine Antwort

  1. Lorenz Hargassner sagt:

    Sehr elaboriert und durchdacht gesprochen, Philipp Gropper! Respekt!

Schreibe einen Kommentar zu Lorenz Hargassner Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert