„Bei mir bist du schön“ – Vom Misserfolg im Vorstadttheater zum Welthit

„Bei mir bist du schön“ – Vom Misserfolg im Vorstadttheater zum Welthit

„Bei Mir Bistu Shein” (Bei mir bist du schön) wurde ursprünglich für das Musical „Men ken leben nor men lost nisht” (Mann kann/könnte leben, aber man lässt [es] nicht [zu])[1] geschrieben. 1932 wurde das Musical im jüdischen[2] Brooklyn’s Rolland Theater mit 1.800 Plätzen uraufgeführt. Da das Theater aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten, die auf die Wirtschaftskrise 1929 zurückgingen, kurz nach der Uraufführung geschlossen wurde, gab es jedoch keine weiteren Aufführungen. Scholom Secunda hatte den Titel zu einem Text von Lou Levy komponiert. Nachdem das Musical abgesagt wurde, verkaufte er die Rechte für 30 US-Dollar an die Brüder Kammen.[3]

1938 hörten Saul Kaplan-Chaplin, Sammy Cahn und Lou Levy den Song im 1.506 Plätze fassenden Apollo Theater im New Yorker Stadtteil Harlem mit dem original jiddischen Text in einer Interpretation des afroamerikanischen Duos Johnny and George vor einem 99 Prozent afroamerikanischen Publikum. Der Song war ein voller Erfolg und die drei Musiker stellten sich die Frage nach der Wirkung des Songs auf ein Publikum, das den Text verstehen kann.[4] Levy kaufte die Rechte des Songs und bat Chan und Chaplin, einen englischen Text dafür zu schreiben. Er schlug ihn Vic Schoen vor, der ihn für die Andrews Sisters arrangierte.[5] Am 24. November 1937[6] nahmen diese ihre zweite Single für Decca Records auf. Auf der ersten Seite gab es den erfolgversprechenden Titel „Nice Work if you can get it“ von George Gershwin aus dem gerade anlaufenden Spielfilm A Damsel in Distress (Ein Fräulein in Nöten). Um die B-Seite zu füllen, entschied man sich, den Song „Bei mir bist du schön“ aufzunehmen.[7] Nach John Sforza wurde der Song nach Weihnachten veröffentlicht und verkaufte sich im ersten Monat über 350.000 Mal.[8] Catherine Tackley schreibt, dass 200.000 Sheet-Music-Exemplare bis Ende Januar 1938 verkauft wurden.[9] Das lässt darauf schließen, dass der Song nicht nur gehört, sondern auch gleichzeitig sehr viel gespielt wurde.

Am 25.12.1937 spielten die Andrews Sisters „Bei mir bist du schön“ bei einem Konzert im 3.664 Plätze fassenden und zentral am Broadway gelegenen Paramount Theater in New York. Der Song wurde zum Show-Stopper und die Band spielte den Titel drei Mal an diesem Abend.[10]

Benny Goodman spielte am 16. Januar 1938 bei seinem Konzert in der 2.800 Plätze fassenden Carnegie Hall in New York ebenfalls den Titel „Bei mir bist du schoen.“[11] Das Konzert wird oftmals als das erste Jazzkonzert genannt, das in diesem konservativ ausgerichteten[12] und „wichtigsten klassischen Konzertsaal New Yorks“[13] aufgeführt wurde. Catherine Tackley schreibt, dass dieses Konzert afroamerikanische Musik aus Harlem zu einem etablierten Ausführungsort in Manhattan gebracht hatte.[14

Spätestens mit diesem Konzert war auch der Song „Bei mir bist du schoen“ im Zentrum der amerikanischen Kultur angekommen. Ausgehend von der Peripherie eines jüdischen Vorstadttheaters hatte die Komposition über Harlem ihren Weg in eines der etabliertesten und angesehensten Konzerthäuser gefunden. Gleichzeitig wurde die Komposition von der Rückseite einer Single-Veröffentlichung zu einem der bekanntesten und meist aufgenommenen jiddischen Songs.[15]

Dieser Text war ein Teil der Arbeit

In dieser Arbeit findest du noch weitere Untersuchungen und Analysen zu „Bei mir bist du schön“

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[1] Übersetzung aus: Juliane Lensch, Klezmer, S. 206.

[2] Joshua Walden, The Cambridge companion to Jewish music, S. 64.

[3] Ebd. S.206.

[4] John Sforza: Swing It!: The Andrews Sisters Story, S. 27-28.

[5] Jack Finschel (Hrsg.), Encyclopedia of Jewish American Popular Culture, S. 202-203.

[6] Vgl. Tom Lord Jazz-Discography.

[7] John Sforza: Swing It!: The Andrews Sisters Story, S.26.

[8] John Sforza: Swing It!: The Andrews Sisters Story, S. 29.

[9] Catherine Tackley, Benny Goodman’s Famous 1938 Carnegie Hall Jazz Concert.

[10] Billboard Magazin,  25.December 1937 S. 14.

[11] Benny Goodman, The Famous 1938 Carnegie Hall Jazz Concert, CD2, Track 7.

[12]  Susam Richardson, Art. New York, Stadt, Experimentelle Musik in: MGG Online.

[13] Wolfram Knauer, Art. New York, Stadt, Jazz in: MGG Online.

[14] Catherine Tackley, Benny Goodman’s Famous 1938 Carnegie Hall Jazz Concert, S.4.

[15] Tom Lords Jazzdisco listet 272 Einspielungen des Titels

Quellen

Jack Finschel (Hrsg.), Encyclopedia of Jewish American Popular Culture, Westport & London, Greenwood, 2009.

Niels Falch, From Oy to Joy, Jewish Musical Style in American Popular Songs 1892-1945, Groningen, University of Groningen, 2020.

Juliane Lensch, Klezmer, von den Wurzeln in Osteuropa zum musikalischen Patchwork in den USA ; eine sozialgeschichtlich orientierte Untersuchung zur Musik einer Minoritätskultur, Hofheim, Wolke 2010.

Tom Lord Jazzdisco. https://www.lordisco.com/

MGG online, hrsg. von Laurenz Lütteken, Kassel u. a. 2016, (Version 2021).

John Sforza: Swing It!: The Andrews Sisters Story . Lexington, University Press of Kentucky, 1999.

Catherine Tackley, Benny Goodman’s Famouhttps://amzn.to/3uSdLDfs 1938 Carnegie Hall Jazz Concert, Oxford, Oxford University Press, 2012.

Joshua Walden, The Cambridge companion to Jewish music, Cambridge, Cambridge University Press, 2015.

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