Jazz & Hip-Hop, Hip-Hop & Jazz

Jazz & Hip-Hop, Hip-Hop & Jazz

Jazz und Hip-Hop sind Musikstile, die sehr von der afroamerikanischen Kultur und Musik geprägt sind. Daher gibt es trotz aller offensichtlichen Unterschiede auch viele Gemeinsamkeiten. Zur Entstehungszeit des Hip-Hop in den 1970er Jahren hatte sich, ausgehend von der Harlem Renaissance, zunehmend ein Bewusstsein für den Wert der afroamerikanischen Kultur und des Jazz entwickelt. [1]

In den 1980er Jahren hatte sich der Jazz als anerkannte Kunstform etabliert und wurde auch zum Teil dafür benutzt, das neue Genre Hip-Hop kulturell aufzuwerten. [2] Dass Elemente einer vermeintlich höherstehenden Musik in eine neue afroamerikanische Musikform eingebunden wurden, war jedoch nichts grundlegend Neues. Bereits im Jazz wurden Streichergruppen in Jazz-Arrangements verwendet, um die damals neue Musikform kulturell aufzuwerten. [3] 

Einige Hip-Hop-Künstler, wie Gang Starr, stellten den Bezug zum Jazz auch über die Texte in ihren Tracks her, indem sie die Geschichte des Jazz erzählten und Rap als dessen Weiterführung verstanden.

 

Link zum Songtext

Neben dem Textbezug gibt es auch viele Samples [4] von Jazzaufnahmen, die bei Hip-Hop-Aufnahmen zu finden sind. Viele afroamerikanische Jugendliche kamen durch ihre Eltern mit Jazz in Berührung. Terrace Martin hatte während der „LA Riots“ 1992 ein musikalisches Jazz-Schlüsselerlebnis, das vielleicht stellvertretend für viele Afroamerikaner stehen kann:

„In Crenshaw, einem der Schwarzenviertel, das in diesen Stunden in Flammen aufging, saß sein Vater vor dem Fernseher. Die ersten Bilder waren zu sehen. Polizeieinheiten, Demonstranten, Plünderer, Schläger, Zusammenstöße. „Mein Vater hatte den Ton abgeschaltet“, sagt Martin. „Gleichzeitig lief John Coltrane. ‚A Love Supreme‘.“ Terrace Martin hatte bis dahin eigentlich nur Hip-Hop gehört. „Da saß ich und sah diesen ganzen Gangster-Wahnsinn, die prügelnden Irren, die Stadt, die in einem Aufstand explodierte. Und dazu lief die ganze Zeit diese unfassbare Musik. Und ja, wir waren zornig, verdammt zornig. Das hat mich so gepackt, dass ich danach immer weiter Jazz gehört habe.“[5]

Viele DJs stöberten auch einfach in den Plattensammlungen ihrer Eltern, in denen sich oftmals auch einige Alben von Jazzmusikern befanden. Wer welche Samples wo verwendet hat, lässt sich recht gut mit der Webseite https://www.whosampled.com/ herausfinden. Mit vielen dieser Samples geht automatisch ein Signifying einher, da sie bestimmte Assoziationen wecken. [6] Justin Williams schreibt in diesem Zusammenhang von Jazzcodes: „Ein Kontrabass, eine gedämpfte Trompete und Saxophone sind Klangelemente, die für den Jazz symbolisch werden. [7]

Was er damit meint, kann man sehr schön bei „Music Evolution“ von Buckshot LeFonque aus dem Jahr 1997 hören. Produzent Branford Marsalis, der seine Karriere bei Art Blakey´s Jazz Messengers begonnen hatte und durch seine Zusammenarbeit mit Sting international bekannt wurde, hatte bereits 1990 das oben erwähnte Album mit Gang Starr produziert und 1992 mit dem Rapper Guru auf dem ersten Jazzmatazz-Album mitgewirkt.

Eine erste Assoziation ist bei „Music Evolution“ durch den Kontrabass meist mit Jazz geprägt. Dieses stilistische Empfinden ändert sich schlagartig, wenn der Schlagzeuggroove einsetzt. Im weiteren Verlauf des Stückes finden sich viele musikalische Elemente aus Hip-Hop und Jazz. Textlich bezieht sich auch dieses Stück auf Wurzeln des Hip-Hop im Jazz. Durch die Vielzahl der verwendeten musikalischen Mittel ist eine eindeutige Einordnung des Songs zu einer Stilistik schwierig. Eine solche Einordnung ist auch immer eine Sache der Perspektive, aus der man sich dem Stück nähert. Es empfiehlt sich hier eher ein Denken in Schnittmengen als in Schubladen.

In der Schnittmenge von Hip-Hop und Jazz finden sich einige gleiche gestalterische Merkmale und Techniken, die in beiden Stilen unterschiedlich zu Tage treten.

Kopieren ist eine der wichtigsten Techniken im Hip-Hop. Dieses Kopieren kann sowohl auf der musikalischen Ebene durch das Verwenden von Samples geschehen oder sich in den Texten als Zitat und anderen Formen von Intertextualität finden.

Auch im Jazz finden sich diese Techniken. Ab den 1940er Jahren waren sogenannte Contrafacts [8] sehr beliebt. Dabei wurden über die Akkordfolgen bekannter Songs neue Melodien hinzukomponiert. Prinzipiell kann man diese Contrafacts mit musikalischen Samples und Dubing [9] vergleichen. Sie bilden eine musikalische Hintergrundstruktur, die als Grundlage für eine neue Komposition dient.

Auch das Zitieren ist eine weit verbreitete Technik im Jazz. Viele Musiker verwenden in ihren Soli musikalische Zitate aus anderen Kompositionen oder aus Improvisationen andere Musiker

Streitgespräche

Wolf Kampmann weist darauf hin, dass es im frühen New Orleans Jazz sogenannte Dirty Dozens gab. Dabei handelte es sich um „gereimte Ad-hoc-Wortgefechte, die während der Musik stakkato abgefeuert wurden. Die Protagonisten beschimpften sich gegenseitig aufs Übelste. Das Dissen, das heute im Hip-Hop gang und gäbe ist, kann als später Nachfahre jener Dirty Dozens betrachtet werden. [10]

Entsprechend kann man in den Bigband-Battles der Swing Ära einen Vorläufer des Battle-Raps finden.

Wettstreit

Spätestens seit den Instrumentalvirtuosen des 19. Jahrhunderts, wie dem „Teufelsgeiger Paganini“, ist Virtuosität ein wichtiger Faktor bei der „Bewertung der Qualität“ eines Musikers. Im Jazz spielt der musikalische Wettstreit von Solisten schon von Beginn an eine wichtige Rolle. Im Hip-Hop ist das Cyphern, bei dem mehrere Kontrahenten im Freestyle über einen Beat rappen, oft ein Ort für einen Wettstreit, in dem die Virtuosität der Kontrahenten verglichen wird.

Geräuschhafter Sound

Im Jazz- und Blues-Kontext wird oftmals auf den geräuschhaft aufgeladenen Sound dieser Musik hingewiesen. Joachim Ernst Behrendt weist beispielsweise im Zusammenhang mit Pop Fosters Bassspiel darauf hin, dass „die Idee, dass geräuschhafte Einfärbungen der Töne nicht etwas Störendes, sondern vielmehr das »Salz in der Suppe« sind.“ [11] Justin Williams verweist ähnlich auf „geräuschhafte Elemente beim Scratchen.“ [12]

Hip-Hop im Jazz

Als Geburtsstunde des Hip-Hop wird oft der 11. August 1973 angegeben. An diesen Tag hatte DJ Kool Herc zu einer Party eingeladen. Die Adresse war 1520 Sedgwick Avenue in Morris Heights (Bronx) .[13] Man kann sich sicherlich streiten, ob das wirklich die Geburtsstunde des Hip-Hop war, unstrittig ist jedoch, dass Hip-Hop mittlerweile auf eine lange Geschichte zurückblicken kann und auch einige Spuren im Jazz hinterlassen hat.

Bei Labels, wie Brainfeeder, verwischen die Grenzen der Genres zunehmend. Bei dem Label aus Los Angeles sind sowohl Hip-Hop- als auch Jazz-Künstler, wie Kamasi Washington, unter Vertrag.

Spuren der Hip-Hop-Kultur im Jazz können, wie bei Robert Glasper, in einer Loop-Ästhetik zu finden sein. Stellvertretend sei an dieser Stelle das Album Everything´s Beautiful erwähnt, bei dem er unter anderem auch Samples von Miles Davis verwendete.

Dass die Hip-Hop-Kultur längst global die Musik beeinflusst, zeigt sich im Jazz nicht zuletzt auch bei der aus Japan stammenden Pianistin Aki Takase. Eindrücklich zu hören ist dieser Einfluss beispielsweise beim Thema Prima, bei dem DJ Illvibe, der mit Peter Fox und Seeed zusammenarbeitete, mit einer „klassischen Jazzbesetzung“ zu einem Klangkörper verschmilzt.

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[1] Einer der ersten Beiträge für die Entwicklung des Jazz als Kunstform ist der Artikel „Jazz at Home“ von J.R. Rodgers, der 1925 in Alain Lockes Essayband „The New Negro“ erschien.

[2] Justin A. Williams, Rhymin‘ and stealin: musical borrowing in hip-hop. The Univ. of Michigan Press, 2014. S. 72.

[3] Justin A. Williams, The Construction of Jazz Rap as High Art in Hip-Hop Music, The Journal of Musicology , Fall 2010, Vol. 27, No. 4 (Fall 2010), S.457.

[4] Sample = Teil einer bereits fertigen Ton- oder Musikaufnahme.

[5] https://www.sueddeutsche.de/kultur/jazz-l-a-brennt-john-coltrane-spielt-1.3755758.

[6] Justin A. Williams (Hrsg.), The Cambridge companion to hip-hop, Cambridge: Cambridge University Press, 2015, S. 206-211.

[7], Justin A. Williams, Rhymin‘ and stealin: musical borrowing in hip-hop. The Univ. of Michigan Press, 2014. S.72.

[8] Eine Liste von Contrafacts findet sich hier: https://en.wikipedia.org/wiki/List_of_jazz_contrafacts

[9] Viele Reggae Singles enthielten auf der B-Seite eine instrumentale Version des Titels der A-Seite. Diese Dub-Versionen dienten den Diskjockeys als Grundlage für Toasts (Animationen des Publikums, Ansagen oder eigenen Gesang)

[10] Kampmann, Wolf. Jazz. Eine Geschichte von 1900 bis übermorgen (German Edition). Reclam Verlag. Kindle-Version. Pos. 256.

[11] Berendt, Joachim-Ernst; Huesmann, Günther. Das Jazzbuch: Von New Orleans bis ins 21. Jahrhundert Fortgeführt von Günther Huesmann (German Edition) . FISCHER E-Books. Kindle-Version. Pos 10653

[12] Justin A. Williams, (Hrsg.), The Cambridge companion to hip-hop, Cambridge : Cambridge University Press, 2015, S.49.

[13] Justin A. Williams, Rhymin‘ and stealin: musical borrowing in hip-hopThe Univ. of Michigan Press, 2014.

 

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