Ahmad Jamal – Der Influencer

Ahmad Jamal – Der Influencer

Ahmad Jamal sah sich immer wieder mit der abwertenden Bezeichnung des Cocktailpianisten konfrontiert, nachdem Martin Williams diesen Begriff in seiner Rezension für das Album At the Pershing: But Not for Me [1] im Downbeat[2] verwendet hate. In älteren Jazzgeschichtsbüchern von Arrigo Polillo[3] und Joachim Ernst Behrendt[4] gibt es schlichtweg keine Erwähnungen von Ahmad Jamal.

Dabei hatten sowohl sein orchestrales Denken, als auch seine Art, Melodien zu spielen, einen großen Einfluss auf viele Musiker seiner Generation und nach ihm. Dieses orchestrale Denken kann man besonders an seiner Einspielung von „Poinciana“[5] nachvollziehen, die er zusammen mit dem Bassisten Israel Crosby und dem Schlagzeuger Vernel Fournier live im Pershing Hotel in Chicago aufgenommen hat,[6] in dem das Trio als Hausband spielte. Das 1958 veröffentlichte Album war äußerst erfolgreich und hielt sich 107 Wochen in den Top Ten der Album-Charts.[7] Ahmad Jamal entfaltet bei dieser Aufnahme das Thema über einen Latin Groove. Am Ende des B-Teils spielen Jamal und Crosby ein, im Bigband-Stil ein arrangiertes Riff zusammen, bevor sich ihre Stimmen wieder trennen. Nach dem Thema folgt jedoch nicht, wie zu erwarten wäre, ein Klaviersolo. Vielmehr kann man den weiteren Verlauf als einen klassischen Variationssatz sehen, bei dem Jamal das Thema verschieden beleuchtet und mit einem musikalischen Zitat aus Maurice Ravels Bolero abschließt.

Neben diesem sehr orchestralen Arrangement ist auf dem gleichen Album die George Gershwin Komposition „But not For Me“[8] zu hören. Sie ist beispielhaft für eine offene Spielweise des Trios. Die Komposition aus dem Broadway Musical Girl Crazy von 1930 war Ende der 1950er Jahre durch viele Einspielungen bekannt. Jamal deutet die Melodie mehr an, als dass er sie im klassischen Sinne spielt. Oft vermeidet er es auch, die Phrasenenden zu spielen. Er lässt Israel Crosby am Bass damit Platz, seine mehr als Frage gespielte Melodie zu beantworten. Darüber hinaus bietet er dem Hörer die Möglichkeit, die bekannte Melodie im Kopf zu beenden und damit ein Teil der musikalischen Performance zu werden.

Zweifelsfrei hatte Ahmad Jamals Spiel einen sehr großen Einfluss auf das Schaffen von Miles Davis in den 1950er Jahren. Dieser wurde durch seine Schwester auf Jamal aufmerksam, die ihn in Chicago live gehört hatte.[9] Miles Davis beobachtete von da an sehr genau das Schaffen von Jamal und dessen Art, in seinem Pianospiel mit Pausen umzugehen. Davis schreibt in seiner Autobiografie dazu: „Zu dieser Zeit wollte ich der Musik mehr Raum zum Atmen geben – ein Konzept, das ich von Ahmad Jamal übernommen habe.“[10] Obwohl er nie mit Jamal im Studio war, suchte er doch dessen Klaviersound für seine eigenen Aufnahmen. Seine Entscheidung, Red Garland 1955 als Pianisten in seine Band zu holen, fällte er nicht zuletzt, weil dieser ihn vom Anschlag her an Jamal erinnerte.[11]

Auf Miles seiner Platten finden sich zudem Titel, die Jamal zuvor aufgenommen hatte, in ähnlichen Arrangements. „Ahmad´s Blues“ nahm Jamal beispielsweise 1952 auf. Er ist unter anderem auf dem Album The Piano Scene of Ahmad Jamal[12] zu hören.

Auf dem Miles Davis Album Workin’ with the Miles Davis Quintet[13] ist der Titel in gleichem Feeling und der gleichen Geschwindigkeit zu finden.

Das Intro der Version von „Autumn Leaves“ des Cannonball Adderley Albums Somethin´ Else[14] aus dem Jahr 1958, auf dem auch Miles Davis spielt, zeigt, obohl es langsamer gespielt ist große Ähnlichkeit mit dem, das Jamal 1955 aufgenommen hatte und unter anderem auf dem Album The Ahmad Jamal Trio [15] veröffentlicht wurde.

Auch viele der bigbandmäßigen Arrangements, die Ahmad Jamal mit seinen Trios spielte, übernahm Davis in sein Repertoire. Auf dem von Miles-Davis-Album Miles Ahead[16] befinden sich die Titel „New Rumba”

und „I Don´t Wanna Be Kissed“.

Beide Titel arrangierte Gil Evans nach den Vorlagen von Ahmad Jamals Arrangements, die auf dem Album Ahmad Jamal Plays von 1955[17] zu hören sind. Die Liste mit Beispielen ließe sich problemlos fortführen.

Auch die modale Spielweise, deren Beginn im Jazz meist mit Miles Davis verbunden wird, kann man bei Ahmad Jamal früher als bei Davis finden. Beispielsweise bei Jamals Einspielung von „Pavanne“[18] aus dem Jahr 1955, das von Maurice Ravels „Pavanne“ beeinflusst ist.

Gitarrist Randy Crawford spielt bei Ahmad Jamals Aufnahme von „Pavanne“ von 1955 bei diesem Stück ab 1:37 eine Melodie[19], die John Coltrane später bei seiner  modalen Komposition[20] „Impressions“[21] als Thema für den A-Teil verwendete. Auch die Modulation, die bei „Impressions“ stattfindet, gibt es bei dieser Einspielung.

[22] Ein Jahr vor der John-Coltrane-Aufnahme veröffentlichte Ahmad Jamal auf Happy Moods[23] eine weitere Einspielung von „Pavanne“.

In  Ahmad Jamals Musik finden sich bei näherem Betrachten damit Ideen von denen sich Musiker der Zeit inspirieren und beeinflussen ließen. Auch wenn Jamal aufgrund seiner „lockeren Spielweise“ unterschätzt wurde Zählt der doch zu den wichtigen Influencern im Jazz.


[1] Ahmad Jamal, At the Pershing: But Not for Me (1958), Argo.

[2]  Martin Williams, “Ahmad Jamal, But Not for Me” in: Downbeat, September 1958, S.38.

[3] Arrigo Polillo, Jazz, Geschichte und Persönlichkeiten, Mainz, Schott, 1975.

[4].Joachim Ernst Berendt, Das Jazzbuch. Von New Orleans bis Freejazz, Frankfurt/Main, Fischer 1972.

[5] Ahmad Jamal, At the Pershing: But Not for Me (1958), Argo.

[6] Ahmad Jamal, At the Pershing: But Not for Me (1958), Argo.

[7] Vgl. Alyn Shipton, A new history of Jazz, New York & London, Continuum, 2007, S.643.

[8] Ahmad Jamal, At the Pershing: But Not for Me (1958), Argo.

[9] Vgl. Miles Davis und Quincy Troupe, Miles Davis. Die Autobiographie, S.242.

[10] Miles Davis und Quincy Troupe, Miles Davis. Die Autobiographie, Übersetzung von Brigitte Jakobeit,  München, Heyne, 2000, S.254.

[11] Vgl. Miles Davis und Quincy Troupe, Miles Davis. Die Autobiographie, S.271.

[12] Ahmad Jamal, The Piano Scene of Ahmad Jamal (1952), Epic.

[13] Miles Davis, Workin´ with the Miles Davis Quintett (1956), Prestige.

[14] Cannonball Adderley, Somethin´ Else (1958), Blue Note.

[15] Ahmad Jamal, The Ahmad Jamal Trio (1955), Epic.

[16] Miles Davis, Miles Ahead (1957), Columbia.

[17] Ahmad Jamal, Ahmad Jamal Plays (1955), Parrot.

[18] Pavanne, auf: Ahmad Jamal, The Ahmad Jamal Trio (1955), Epic.

[19] Vgl. Pavanne 1:36-1:58.

[20] Coltrane verwendet bei „Impressions“ die gleichen Akkorde wie Miles Davis in „So What“

[21] John Coltrane, Impressions (1961), Impulse!

[22] Das Ahmad Jamal Trio moduliert eine kleine Terz aufwärts, bei Impressions ist es eine kleine Sekunde.

[23] Ahmad Jamal, Happy Moods (1960), Argo.

[24] Ahmad Jamal, „New Rhumba” auf: Ahmad Jamal, Ahmad Jamal Plays (1955), Parrot.

[25] Bei der Duke Ellington Komposition „Caravan“  aus dem Jahr 1936 gibt es auch einen C7-Akkord, der fast den ganzen A-Teil ausmacht. Dort löst er sich jedoch letzten Endes in einen Fm-Akkord auf und ist damit nicht selbständig.

[26] Ahmad Jamal, The Piano Scene of Ahmad Jamal (1951), Epic.

 

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