5 Fragen an Matthias Schriefl
Foto von Gerhard Richter
Matthias Schriefl ist einer der Jazzmusiker die es schaffen in der amerikanischen Jazztradition verwurzelt zu sein und gleichzeitig eine eigene Stimme zu entwickeln. Gerade erschienen mit Celebrating Mingus 100 und Geläut zwei Alben, die diese zwei unterschiedlichen Facetten seines Schaffens abbilden.
Was macht interessanten Jazz für dich aus?
Gutes Zusammenspiel, ein gewisser Improvisationsanteil, in dem auch Platz für Unerwartetes und dabei Interaktion ist, und ein gewisser Groove- oder Swing-Anteil sind für mich die Grundpfeiler.Ein Bewusstsein für Tradition, also auch ein Anteil an gut beherrschten und auch mal bewusst gebrochenen Klichees sind für mich die Garnierungen. Liebe im Sound, eine klare Aussage und Vision im Konzept der Band, sind für mich die Botschafter. Kurz gesagt: ich mag an der Hand genommen werden. Ich mag’s, wenn es keine Angst vor Klischees gibt, aber auch keine Arroganz vorherrscht. Wenn die Band ihre echte Vision verfolgt, ohne von Verkaufskonzepten, einer aufgestülpten Hochschulattitüde oder nur von finanziellen Interessen geleitet zu werden. Ich mag gern frische Musik, mit einer Vielzahl an Emotionen. Ich mag gern wagemutige, riskante Musik, in der viel Aufwand steckt, und die trotzdem leicht klingt.
Du hast gerade auch auf einem Album zu 100 Jahre Charles Mingus mitgespielt. Wie wichtig ist die die (US-amerikanische) Jazztradition?
Die Jazztradition ist und bleibt die Basis für mein künstlerisches Schaffen. Ich bin als Erstklässler bereits Fan von Louis Armstrong geworden und bis heute geblieben. Bereits mit 8 Jahren war ich – durch die Plattensammlung meines früh verstorbenen Vaters – Fan von Dixie- und Swingbands aus aller Welt. Erst mit 12 Jahren fing ich an, mein gesamten Taschengeld für CDs auszugeben. Und das waren erst fast alles Bands in der US-amerikanischen Tradition von Bebop bis Freejazz und zeitgenössische Jazzer aus aller Welt. Ich hörte mich tatsächlich chronologisch durch die Jazzgeschichte, wobei diese für mich nicht auf die USA und Stilrichtungen beschränkt ist, sondern immer eine Geschichte von Individuen war, die sich selbst einen Mist um eine Stilbezeichnung ihrer eigenen Musik geschert haben. Die USA nahm natürlich bis in die 80er Jahre immer eine Vorreiter-Rolle ein und war das Vorbild für die Europäische Jazzszene.
Musik wächst aber nicht auf dem Feld, gehört also niemals einem Land oder einer Nation, daher kann man Begriffe wie „Deutsche Volksmusik“ oder „US-amerikanischer Jazz“ schnell missverstehen. Jazz oder Volksmusik oder „You name it“-Musik gehört allen!
Wie wichtig ist für dich Kultur und was kann/sollte sie deiner Meinung nach leisten?
Gerade habe ich einen Workshop an einer Gesamtschule in NRW gegeben für die fünften Klassen. Von 125 Schülern dort spielte nur ein Junge ernsthaft ein Instrument, eine Saz. Fünf weitere Kinder besitzen eine Gitarre, können aber nicht mal einen Akkord spielen, und fünf weitere Kinder können maximal mit einem Finger „Alle meine Entchen“ auf dem Keyboard spielen. Diese Verhältnisse haben mich verstört, weil ich als Allgäuer gewohnt bin, dass jedes zweite Kind ein Instrument spielt.
Ich habe den Kindern erklärt, dass Kultur das ist, was uns vom Affen unterscheidet. Wenn wir beispielsweise eine Grabstätte für unsere Ahnen errichten ist das bereits Kultur, also Mitgefühl in Kombination mit Kunst, die höheren Idealen dient.
Und Kultur ist das Gegenteil von dem, was wir gerade in der Ukraine erleben, was die gezielte Zerstörung von Kultur ist: Dort werden täglich Bomben und Raketen auf Schulen, Kindergärten und Theater geschmissen. Zum Teil kostet eine solche Rakete 100.000€ und entspricht einem Kindergarten, der dafür in Russland nicht gebaut werden kann, weil das Geld dort fehlt.
Ich habe den Schülern auch erklärt, dass Kultur so etwas wie ein Code ist, der die Seele jeder Gesellschaft darstellt. Wenn wir unsere eigene Kultur kennen wollen, müssen wir uns mit den Schriftstellern, Dichtern und Komponisten aus unserer Gegend auseinandersetzen. Dabei werden wir übrigens auch feststellen, dass Kulturen immer vom Austausch mit anderen Kulturen gelernt und gegenseitig profitiert haben. Und wenn wir uns voller Respekt und Neugier für andere Kulturen interessieren, wird es schier unmöglich, dass jemand nochmal Krieg führt.
In deinem neuen Album spielen Kirchenglocken eine wichtige Rolle. Wie wichtig sind die deutschen Traditionen und christliche Kultur?
Die meisten Nationalstaaten sind eine Erfindung des 19. Jahrhunderts, also sehr jung, und meist gewaltsam entstanden. Daher kann ich wenig gesamtdeutsche Traditionen finden. Aber im kleinen haben viel ältere Traditionen überlebt, welche oft auch in der christlichen Tradition vor Ort weiterleben.
Alles, was die Gesellschaft friedlich zusammenhält ist goldwert, und dazu zählen auch Kirchenglocken.
So spüre ich jedes Mal tiefen Frieden und Freude in mir, wenn ich ein schönes Geläut höre, gerade über eine weitere Strecke. Ich liebe es, wenn es je nach Windrichtung mal lauter und mal leiser wird und wenn die Glocken rhythmisch und harmonisch schön aufeinander abgestimmt sind.
Die christliche Kultur hat uns Jahrhunderte lang auf eine nicht immer schöne Art zusammengehalten, und trotz allem bin ich noch Mitglied in der Kirche, weil ich nach wie vor offen die Amtskirche kritisieren können mag. Ich hoffe, dass es wieder so einen positiven Zusammenhalt in der Gesellschaft geben kann, wie ihn die Grundidee des Christentums anstrebt. Leider ist aber die Geschichte des Christentums eine Geschichte des Scheiterns, ähnlich wie die Geschichte des Jazz und so viele Geschichten des Menschen.
Ohne Musik wäre die christliche Kultur nicht einmal halb so interessant für mich, und nach wie vor sind Kirchen auch wunderbare Konzertorte, wie wir mit Geläut bei unserer letzten Tour erfahren haben!
Wie unterschiedlich ist deine Herangehensweise beim Improvisieren, wenn du „amerikanischen“ Jazz spielst oder eigene Kompositionen?
Da gibt es keinen Unterschied mehr für mich. Ars Artis!
Hier geht es zur Webseite von Matthias Schriefl
Zur CD Geläut
https://schriefl.eu/discography/gelaeut
Zur CD Celebrating Mingus 100