Unterschiedliche Basskonzepte von Ray Brown und Scott LaFaro am Beispiel von „Witchcraft“

Unterschiedliche Basskonzepte von Ray Brown und Scott LaFaro am Beispiel von „Witchcraft“

Einleitung

Das Oscar Peterson Trio und das Bill Evans Trio zählen zu den stilprägenden Klaviertrios des Jahres 1959.  Mit Ray Brown und Scott LaFaro spielten zwei der Einflussreichsten Bassisten in diesen Formationen. Dan beide Formationen fast Zeitgleich mit „Witchraft“ den gleichen Titel aufgenommen haben, drängt sich en vergleich förmlich auf.

Grundlegende Informationen zum Bill Evans Trio und dem Oscar Peterson Trio gibt es in den einzelnen Artikeln zu Bill Evans, Ray Brown und LaFaro.[1]

Vergleich des Oscar Peterson Trios mit dem Bill Evans Trio

1959 waren der 1925 geborene Oscar Peterson und sein vier Jahre jüngerer Kollege Bill Evans etablierte Pianisten. Oscar Peterson war jedoch ohne Zweifel der weitaus bekanntere der beiden. Nicht zuletzt durch seine Mitwirkung bei der Jazz at the Philharmonic Jazzreihe war er einer der „Big Names“ wenn es um Jazzpiano ging. Das spiegelt sich auch in den jährlichen Jazz-Poll-Befragungen des Downbeat Magazins wieder. So ist Oscar Peterson Ende der 1950er bzw. Anfang der 1960er Jahre der am meisten ausgezeichnete Pianist des Magazins.[2]

Bill Evans war bis zur Einspielung des Albums Portrait in Jazz[3]  im Jahr 1959 weitaus weniger im Focus der Öffentlichkeit. Horst Lippmann bezeichnet ihn 1960 im Jazzpodium als den wichtigsten neuen Pianisten seit einigen Jahren.[4] Dass er zu dieser Zeit jedoch nicht so neu war, zeigen seine 68 Einträge in Tom Lords Jazz Discography[5] bis Ende 1959.

1959 präsentierten sich beide Pianisten mit einem Neuen Trio.

Oscar Petersons „Mainstream“[6] Trio

Nachdem Oscar Petersons Trio mit dem Bassisten Ray Brown und dem Gitarristen Herb Ellis sich 1958 aufgelöst hatte, besetzte er auf Anraten des Produzenten Norman Granz die vakante Stelle nicht wieder mit einem Gitarristen sondern mit dem Schlagzeuger Ed Thigpen.[7]  A Jazz Portrait of Frank Sinatra[8]  war das erste Album mit dem neuen Trio und wurde am 18. Mai 1959 in Paris aufgenommen. In Hifi Stereopraxis schreibt E.K. 1962 zu diesem Album: „Das neue Oscar Peterson Trio, spielt direkter und weniger manieriert als die früheren Gruppen, weil durch das Fortfallen der Gitarre die perlenden Improvisationen des Pianos deutlicher hörbar werden. Diese Änderung in der Instrumentierung hat einen derart starken Einfluss, daß es scheint, als hätte Oscar Peterson selbst einen neuen Stil entwickelt.“ [9] Gene Lees schreibt in seiner Rezension für das Downbeat Magazin: “ […] three-quarters oft the pianists in the country know: that Peterson is a Pianist of genious.”[10] Wolf Kampmann bezeichnet Oscar Peterson schließt sich im Reclams Jazzlexikon aber Gene Lees Meinung an, indem er schreibt: „Obwohl der von Nat King Cole inspirierte und in der Nachfolge Art Tatum stehende Pianist niemals die Pfade des Mainstream verließ, trieb er diesen doch zu höchster künstlerischen Blüte.“[11] Zu Ray Browns und Ed Thigpens Begleitung in diesem Trio schreibt Ralf Dombrowski in seiner Basis-Diskothek Jazz: „Ray Brown und Ed Thigpen erwiesen sich als ideal groovende Partner, zugleich eigenständig und konservativ genug um in Petersons Kosmos zu passen.“[12] Auch wenn er sich hierbei auf Das Album Nighttrain [13] von 1963 bezieht, lässt sich das Zitat auch auf A Jazz Portrait of Frank Sinatra übertragen, da das Konzept des Trios auf beiden Alben dasselbe ist.

Peterson selbst äußert sich im Booklet von A Jazz Portrait of Frank Sinatra folgendermaßen zu seiner Intention: “This Album is not only a Tribute to Frank Sinatra, but also my emotional interpretation of the feelings I get when I hear him. I have tried, therefore, to paint as well as I can a portrait, told in my personal jazz terms, of Frank Sinatra.”[14]

 

 

Bill Evans- Spontaneous improvisation Trio

Auch Bill Evans ( eine kleine Biografie zu Bill Evans gibt es hier) ging im selben Jahr, am 28.Dezember 1959 in New York mit dem Bassisten Scott LaFaro und dem Schlagzeuger Paul Motian ins Studio, um das Album Portrait in Jazz[15] mit seinem ersten Trio als Leader aufzunehmen. Evans ist viel verschlossener, wenn es um eine Aussage oder gar eine emotionale Aussage zu seinem Album A Portrait in Jazz geht. Als Owen Keepnews ihn nach einem Zitat für das Booklet fragte, meinte Evans, er solle doch besser seine Mutter fragen.[16] Scott LaFaro äußert sich an der gleichen Stelle folgendermaßen: „I´m hoping the trio will grow in the direction of simultaneous improvisation rather than just one guy blowing followed by another guy blowing. If the Bass player, for example, hears an idea that he wants to answer, why shouldn´t he answer.“[17]

Laut Donald Wilner verwendete das Trio verschiedene Ausdrücke um seine Spielweise zu beschreiben: so nutze LaFaro den Begriff „collective improvisation“, Bill Evans sprach von „spontaneous improvisation“[18]. Auch wenn Evans und LaFaroverschiedene Begriffe verwenden wird klar, dass hier ein neuer Gedanke des Zusammenspiels im Vordergrund steht, der das Kollektive und Spontane mehr in den Vordergrund stellt als das vorhersehbar Arrangierte.

Eric Vogel beschreibt diesen neuen Aspekt des Zusammenspiels bei seiner Rezension im Jazzpodium 1960: „Scott LaFaro, der überaus begabte Bassist, ist auf dieser Platte kein Begleiter, sondern ein Mitspieler, der sich dem Ideengang Evans geschmeidig anpasst.“ [19] Rolf Dombrowski beschreibt das Spiel LaFaros in seiner Basis-Diskothek Jazz ähnlich, weist aber gleichzeitig darauf hin, wie wichtig in diesem Zusammenspiel die Form des Stückes ist: „Er entfernte sich weit vom vorherrschenden Walkingbass-Muster spielte eher kommentierende als begleitende Linien, ohne allerdings die Form zu verlassen (ein Jahr später spielte er bei Ornette Colemans legendärer »Free Jazz«-Session mit, fühlte sich aber nach eigenen Angaben mit der völligen Freiheit nicht wohl.)“[20] Auch wenn die Form in diesem Trio im Vergleich zu Konzepten wie dem von Ornette Coleman eine zentrale Rolle spielt und niemals verlassen wird, ist das Konzept des Bill Evans Trio etwas neues wie Wolf Kampmann bemerkt: “(…)stellte Evans mit seinem »Portrait in Jazz« (1959/60) ein Trio-Konzept vor, bei dem er sich mit Motian und Scott LaFaro (b) weit weg vom üblichen Schema Solist/Begleiter entfernte.“[21]

Das Trio setzte mit diesem neuen Konzept neue Maßstäbe und das war für Bill Evans der Startpunkt für seine Karriere als Bandleader. Ralf Dombrowski schreibt darüber: “Zum einen präsentierte sich Evans als ungemein abwechslungsreicher und keiner der gängigen Schulen verpflichteter Pianist. Darüber hinaus hatte er mit Scott LaFaro und Paul Motian ein Trio zu bieten, das durch stilistische Eigensinnigkeit und verblüffendes Zusammenspiel bestach (…) Mit »Portrait in Jazz« schaffte es Bill Evans (1929-1980) als eigenständiger Künstler wahrgenommen zu werden.“[22]

 

Witchcraft

Witchcraft ist ein Song der 1957 von Cy Coleman komponiert wurde und für den Carolyn Leigh den Text beisteuerte. Frank Sinatra nahm am 20.Mai 1957 den Song für Capitol Records als Single auf.[23] Der Song erreichte Platz 6 in den US-Charts und hielt sich für 16 Wochen in den Charts. Bei den ersten Grammy-Verleihungen 1959 war Witchcraft für die Kategorien Record of the Year, Song of the Year und Best Male Pop Vocal Performance nominiert. Nelson Riddles Arrangement für den Song war in der Kategorie Best Arrangement nominiert.[24]

Der Song war in den USA demnach sehr bekannt. Auch Ella Fitzgerald und Bing Crosby nahmen ihn bereits 1958 auf. Tom Lords Jazz Discography verzeichnet 1958 fünf Aufnahmen des Songs und 1959 zehn Aufnahmen. Unter ihnen sind auch die beiden hier besprochenen Aufnahmen. Sie befinden sich auf den Alben:

  • Oscar Peterson Trio Plays the Frank Sinatra Songbook[25]
  • Bill Evans Trio, Portrait in Jazz.[26]

 

Aufbau des Songs

Witchcraft steht in der Tonart F-Dur. Als Tempo ist im New Realbook[27] die Angabe Medium Swing angegeben. Dort wird die Form des Songs mit den Formteilen A, B, C angegeben. Da das New Realbook für eine Musizierpraxis editiert ist, mag diese Einteilung hierfür passend sein. Für eine Analyse ist jedoch eine Einteilung in die Teile A-1, A-2, B-1, B-2, A´ sinnvoller.

So wird die Struktur des Songs deutlicher

  • A1: 2-taktiges Hauptmotiv wird auf der Tonika vorgestellt. Danach wird es 3 Mal wiederholt. Die Tonhöhe des Themas bleibt immer gleich, Jedoch ändern sich die zugrundeliegenden Akkorde und damit die Färbung des Motivs.
  • A2: Das Stück wechselt zur Subdominante. Das 2-taktige Hauptmotiv wird um eine kleine Terz nach oben transponiert und in der 2. Hälfte rhythmisch verdichtet. Beides führt zu einer Steigerung im Stück.
  • B1: Das Stück kehrt zur Tonika zurück. Die Melodie erreicht mit C´´ ihren  vorerst höchsten Ton, zudem sie immer wieder zurückstrebt um am Ende von B1 mit D„ de höchsten Ton des Themas zu erreichen.
  • B2:  Die Melodie startet auf demselben Ton wie bei B1. Rhythmisch ist die Melodie mit A2 identisch. Durch den Orgelpunkt A, der nach 4 Takten in einen Orgelpunkt G wechselt, wirkt die Komposition offener.
  • A3: Ist wie A1. Jedoch endet die Melodie im Gegensatz zu A1 nicht auf der großen Sexte sondern auf dem Grundton.

Überblick über die verschiedenen Versionen

Bei einer Gegenüberstellung der Versionen von Sinatra, Oscar Peterson, und Bill Evans stellt man fest, dass alle Versionen in der Tonart F-Dur stehen. Sinatras Version ist die langsamste, Petersons Version etwas schneller und Evans Version ist mit Abstand die schnellste. Diese Version unterscheidet sich auch stark von den beiden anderen Versionen durch lange Soli von Evans und LaFaro. Sowohl Peterson als auch Evans spielen das Thema zunächst in Block-Chords.[28] Im B-Teil wechselt Evans jedoch in eine Singlenote-Spielweise des Themas. Sinatras Version ist die kürzeste, was nicht verwundert, da sie auch in das Single Radioformat passen sollte. Oscar Petersons Version unterscheidet sich vom Aufbau nicht wesentlich von der Sinatra Version. Der Improvisationsanteil ist hier, wie bei allen Stücken auf dem Album, sehr gering. Besonders im direkten Vergleich mit dem Album Sonny Stitt sits in with the Oscar Peterson Trio, das am gleichen Tag (18. Mai 1959) in Paris aufgenommen wurde. Hier spielt Ray Brown schon als Eröffnung des Albums ein Bassintro für den ersten Titel You can´t give me anything but love. Beim Titel Easy does it spielt er ein Basssolo im Stück. Das Fehlen von Soli ist demnach auf das Albumkonzept von Oscar Peterson zurückzuführen und nicht etwa auf eine schlechte Tagesform der Musiker oder sonstige Einflüsse.

 SinatraOscar PetersonBill Evans
TonartF-DurF-DurF-Dur
TempoCa. 120 bpmCa.130 bpmCa. 180 bpm
BesetzungRhythmusgruppe – Bläser – StringsPiano – Bass – DrumsPiano – Bass – Drums
Länge2:533:124:33
    
Ablauf   
Intro 4 Takte F-Dur Rock n Roll Klischee Rhythmusgruppe 4/4 FeelingPiano Intro Solo Über Erste 8 Takte. Noch nicht in TimeEntfällt
A1-TeilVoc-Thema Rhythmusgruppe: Halbe-Feeling (Bläser Einwürfe Strings Flächen)Piano Thema in Block-Chords Rhythmusgruppe: Halbe- Feeling. Break in Takt 8 auf „2“Piano Thema in Block-Chords Rhythmusgruppe: Bass ½ Feeling Drums 4/4
A2-TeilTeil Voc- Thema Rhythmusgruppe: Halbe- Feeling (Bläser Einwürfe Strings Fläcchen)  Piano Thema in Block-Chords Rhythmusgruppe: Halbe- Feeling. Break in Takt 8 auf „2“Piano Thema in Block-Chords Rhythmusgruppe. Bass ½ Feeling Drums 4/4
B1-TeilTeil Voc Thema Rhythmusgruppe: Halbe- Feeling Pedal Bass Feeling (Bläser Einwürfe Strings Flächen)  Piano Thema in Block-Chords   Rhythmusgruppe: Halbe- Feeling. Break in Takt 8 auf „2“Piano Thema in Singlenote mit Akkordbegleitung   Bass Pedal  
B2-TeilTeil Voc Thema Rhythmusgruppe:Halbe- Feeling Pedal Bass Feeling (Bläser Einwürfe Strings Flächen)  Piano Thema in Block-Chords Rhythmusgruppe: Halbe- Feeling. Pedal. Takt 7 Vierteltriolen Abwärts. Break in Takt 8 auf „2“Piano Thema in Singlenote mit Akkordbegleitung   Bass 4/4
A1´TeilVoc- Thema, Rhythmusgruppe Halbe-   Feeling (Bläser Einwürfe  Ohne Strings)  Piano Thema in Block-Chords Rhythmusgruppe: Halbe- Feeling. Break in Takt 8 auf „2“Piano Thema in Block-Chords Rhythmusgruppe. Bass ½ Feeling Drums 4/4
A1-Teil  Klavier-Solo Rhythmusgruppe. Bass ½ Feeling Drums 4/4
A2-Teil  Klavier-Solo Rhythmusgruppe. Bass ½ Feeling Drums 4/4
B1-Teil  Klavier Bass Konversation
B2-Teil  Klavier-Solo Rhythmusgruppe. 4/4 – Feeling
A1´Teil  Klavier-Solo Rhythmusgruppe. 4/4 – Feeling
A1 Teil  Klavier-Solo Rhythmusgruppe. 4/4 – Feeling
A2-Teil  Klavier-Solo Rhythmusgruppe. 4/4 – Feeling
B1-Teil  Klavier-Solo Rhythmusgruppe. Pedal
B2-Teil  Klavier-Solo Rhythmusgruppe. 4/4 – Feeling
A1´Teil  Klavier-Solo Rhythmusgruppe. 4/4 – Feeling
A1-Teil  Bass Solo Drums begleitet Piano setzt aus
A2-Teil  Bass Solo Drums begleitet Piano setzt aus
B1-Teil  Bass Solo Drums begleitet Piano setzt aus
B2-Teil  Bass Solo Drums begleitet Piano Begleitet Sparsam
A1´Teil  Bass Solo Drums begleitet Piano Begleitet Sparsam
A1-TeilBläsersatz-Solo im Block-Chord-StylePiano Thema in Block-Chords mit Fills Rhythmusgruppe: 4/4 Feeling.Piano Thema in Block-Chords Rhythmusgruppe. Bass ½ Feeling Drums 4/4
A2-TeilEntfälltPiano Thema in Block-Chords mit Fills Rhythmusgruppe: 4/4 Feeling. Break in Takt 8 auf „2“Piano Thema in Block-Chords Rhythmusgruppe. Bass ½ Feeling Drums 4/4
B1- TeilVoc Thema, Rhythmusgruppe: 4/4 Walkingbass, (Bläser Einwürfe Strings diskant Orgelpunkt)Piano Thema in Block-Chords Rhythmusgruppe: 4/4 Feeling. Break in Takt 8 auf „2“Piano Thema Singlenote mit Akkordbegleitung   Bass Pedal
B2-TeilVoc Thema, Rhythmusgruppe: 4/4 Walkingbass, (Bläser Einwürfe Strings diskant Orgelpunkt)Piano Thema in Block-Chords Rhythmusgruppe: Pedal 3.Takte. Takt 7 Vierteltriolen Abwärts. Break in Takt 8 auf „2“Piano Thema Singlenote mit Akkordbegleitung     Bass 4/4
A1´TeilVoc- Thema Rhythmusgruppe: ½ Feeling (Bläser Einwürfe Strings Fläcchen)Piano Thema in Block-Chords Rhythmusgruppe: Halbe- Feeling.Piano Thema in Block-Chords Rhythmusgruppe. Bass ½ Feeling Drums 4/4
Outro4- Takte F-Dur Rock n Roll Klischee mit Flöten Solo. Wie Anfang. Rhythmusgruppe 4/4 FeelingLetzte 4 Takte 3x wiederholtTurnaround  

Ray Brown

Ray Brown spielt mit dem Oscar Peterson Trio im Prinzip über die gleiche harmonische Struktur von Witchcraft, die auch Frank Sinatra verwendet. Er erlaubt sich jedoch im 4.und 5. Takt der Form eine Reharmonisation. Indem er bei dem G#o7 Akkord konsequent ein B spielt, deutet er ihn zu einem Bo7 Akkord um. Von der Tonauswahl und dem Aufbau Ist die Bassbegleitung typisch für Ray Brown und weist alle Merkmale auf, die bereits im Kapitel Ray Brown[29] aufgeführt wurden. Daher liegt das Augenmerk an dieser Stelle auf das Zusammenspiel in der Band.

Da Ed Thigpen am Schlagzeug seinen Besen-Groove durch das Stück durchzieht ist es Ray Brown, der durch seine Abwechslung zwischen Halbe- und „Walkingbass- Feeling“ die rhythmische Dichte der Begleitung von Oscar Petersons Spiel bestimmt. Nach dem Rubato-Intro von Peterson ist es auch Ray Brown, der das Tempo für das Stück mit zwei Triolenachteln, die auf die „Eins“ des ersten Taktes hinführen, bestimmt. Peterson und Thigpen setzen erst auf die Zählzeit zwei ein. Auffällig im Zusammenspiel sind die gemeinsamen Akzente auf die „Zwei“ am Ende der Formteile[30],  die dem Stück im ersten Chorus eine vorhersehbare Struktur geben. Im zweiten Chorus werden diese Akzente zunächst aufgegeben. Er wird nur einmal in Takt 72 wieder aufgegriffen und hat den Effekt, dass sich der Zuhörer über ihn freut wie über einen alten Bekannten. Ray Brown bereit diesen Akzent auch bereits in Takt 71 mit einer absteigenden melodischen Linie in Viertel-Triolen vor. Das selbe macht er an der Parallelstelle im ersten Chorus (Takt 31) gemacht. Hier verwendet jedoch andere Töne verwendet. Er schafft so eine wiederkehrende Figur mit einer Abwechslung, an die sich der Hörer erinnern kann und die im Stück eine zusätzliche Orientierung ermöglichen.

Neben dieser Figur gibt es noch weiter eigenständige Linien in dem Stück. Von Takt 3 bis Takt 4 spielt er eine aufsteigende Linie, die sich aus der reinen Begleitfunktion herauslöst und in Takt 5 wieder in diese einfügt. Den rhythmischen Bauplan, der aus einer Viertelnote und einer Achtel-Triole besteht, verwendet er an der gleichen Stelle in Formteil A´. An beiden Stellen kehrt er jeweils im vierten Takt des Formteils identisch zurück.[31]In den Formteilen B2[32]orientiert sich Ray Brown an Sinatras Version mit den Orgelpunkten. Ray Brown gestaltet diese jedoch beide Male unterschiedlich. Hier wird das grundlegende Prinzip der Wiederholung und Abwechslung[33] oder Wiederholung und Abweichung[34]inder Musik deutlich, das Ray Brown verfolgt. Ein Prinzip, das dem Zuhörer Struktur durch Wiedererkennung ermöglicht. Da diese Wiederholungen jedoch immer etwas anders gestaltet sind, wirken sie nie plakativ oder plump. Neben dieser eigenen musikalischen Ebene mit der Ray Brown das Arrangement unterstützt und eine eigene Struktur im Bassbereich des Songs schafft, geht er auch auf Oscar Petersons Spiel ein. Hier gelten ebenfalls die grundlegenden Prinzipien, wie sie im Kapitel über Ray Brown[35] dargestellt sind. Speziell sei jedoch auf die Stelle in Takt 56-60 hingewiesen. Hier spielt Peterson die Melodie in einem hohen Register und verringert die Lautstärke. Ray Brown geht  mit ihm, indem er auch in eine höhere Lage wechselt. Er verändert den Klangcharakter des Stückes und verleiht ihm einen, durch das fehlende Bassfundament, schwebenden Charakter. Genau an der Stelle, an der in der Vokal-Version der Text: „Cause it’s witchcraft wicked witchcraft“[36]steht. Das mag zufällig erscheinen. Bei einem Musiker wie Ray Brown, der auch zeitweise mit der Sängerin Ella Fitzgerald verheiratet war und für den der Text eines Songs eine wichtige Rolle spielt, dürfte das jedoch eher Teil eines geplanten Arrangements sein.

Transcription mit freundlicher Unterstützung von Lucas Hatzis

 

LaFaro

Die Akkordstruktur, die das Bill Evans Trio für seine Interpretation von Witchcraft wählt, zeichnet sich durch einige Reharmonisationen aus. In Takt 8 oder 11 werden beispielsweise zweite Stufen vor die Dominanten gestellt. In den B-Teilen sind die Reharmonisationen drastischer. Hier erklingt über den ganzen B1-Teil ein C9sus-Akkord. Im B2 Teil erklingen 2 Moll-Klischees: beim A-Moll Akkord mit aufsteigender Quinte, beim G-Moll Akkord mit fallender Septime. Für das Outro des Songs pendelt das Trio in Takt 204 zwischen der Tonika F-Dur und dem Neapolitaner Gb-Dur. Ob es sich hier an der Aufnahme von Oscar Peterson orientiert, dass ebenfalls an der Stelle den Neapolitaner verwendet, lässt sich nicht sagen. Im B1-Teil nimmt LaFaro die Idee des Orgelpunktes von Sinatra auf. Jedoch in einer ungewöhnlichen Form. Er spielt ein ganztaktiges Pattern mit Vierteltriolen, dass jedoch schon zweieinhalb Takte vor B2, in Takt 17 beginnt. Im Gegensatz zu Ray Brown ist es nicht sein Ziel, Wiederholungen mit Variationen zu spielen. Das zeigt sich sehr gut an den B1-Teilen der folgenden Durchgänge, die zwar immer den repetitiven Grundgedanken eines Orgelpunktes aufgreifen, aber sich in ihrer Ausgestaltung deutlich voneinander unterscheiden.

Eine Gemeinsamkeit zwischen Oscar Peterson und Bill Evans ist die Schlagzeugbegleitung. Paul Motian spielt wie Ed Thigpen einen gleichbleibenden Besen-Groove, der LaFaro viele Freiheiten bietet, die er auch reichlich nutzt. Bereits in Takt 2 führt er die erste Phrase des von Bill Evans gespielten Themas weiter. Diese Weiterführung dauert auch noch an, wenn Evans das Thema schon weiterspielt. Im weiteren Verlauf ist LaFaros Basslinie über weite Strecken mehr kommentierend als traditionell begleitend.

Am Ende des Themas in Takt 39 ist ein Break der Platz für einen Solo-Pickup schafft. Diese Pause nutzt LaFaro und es scheint so, als würde ein Basssolo beginnen. Als allerdings Bill Evans einen Takt später auch zu einem Solo ansetzt oder auch nur seine Phrase direkt kommentiert, genau lässt sich das nicht festmachen, reduziert LaFaro sofort seine Spielweise, um Evans erst einmal zuhören zu können. Bill Evans beginnt sein Solo in A1 und A2 jeweils mit einer Phrase, die er wiederholt und dann weiterführt. In B1 geht LaFaro darauf ein, indem er ein eintaktiges Pattern spielt, das immer wieder von Neuem anzusetzen scheint.

Zu Beginn seines Solos greift LaFaro die letzte Solophrase von Evans auf und entwickelt sie in seinem Solo weiter. Genau wie Evans folgt er eher dem Prinzip: „Play motive and follow your ideas“.[37] Man könnte es noch ergänzen mit: und lass dich von deinen Begleitern inspirieren.“ In LaFaros Solo spielt der Bezug zum Thema keine Rolle. Er spannt einen weiten Bogen vom ersten Motiv und lässt sich weitertreiben. Dieses Treiben ist jedoch nicht beliebig. Es folgt eher einem Storytelling Prinzip. Das zeigt sich nicht zuletzt darin, dass das Solo im A´-Teil wieder zu seinem Ausgangsmotiv zurückkehrt und damit der große Bogen geschlossen wird.

Die Unterschiede in den Konzepten

Hinter den Bassisten Ray Brown und Scott LaFaro stehen verschiedene Basskonzepte.

Ray Browns Spiel hat einen starken Bezug zur Jazzbass-Tradition der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Das Arrangement spielt bei ihm eine große Rolle. Seine Bassbegleitung lässt sich immer auf ein Halbe-Feeling oder Walking-Bassspiel zurückführen. Die Tonauswahl ist hier so klar und deutlich, dass immer die zugrunde liegende harmonische Struktur deutlich zu erkennen ist.

LaFaros Konzept ist in harmonischer und rhythmischer Sicht freier. Er ist sich zwar auch jeder Zeit über den Akkordverlauf bewusst, sieht es aber nicht als seine Aufgabe an, diesen zu jeder Zeit klar darzustellen. Seine Bassbegleitung ist vielmehr eine kommentierende und freiere Begleitung. Wolfgang Sander vergleicht in seiner Keith Jarrett-Biografie das Konzept des Bill Evans Trios mit Haydns sechs kleinen Streichquartetten, die  »auf eine ganz neue, besondere Art« komponiert wurden. Damit meinte er zum einen die Veränderung der Begleitfiguren, die sich dem melodischen Verlauf anpassten und ihn mitprägten, zum anderen die Art des klassischen Kontrapunktes, bei der alle vier Stimmen gleichberechtigt die musikalische Entwicklung vorantrieben. Beethoven bezeichnete das Verfahren, das auch großen Einfluss auf Mozarts Quartettstil hatte, später als »obligats Accompagnement«.“[38]

Wenn man sich dieser Beschreibung anschließt und den Begriff für das Konzept LaFaros wählt, ist die entsprechende Beschreibung für Ray Browns Spiel »Generalbass«. Ray Brown setzt die vorhandene harmonische Struktur in einer sehr klaren und deutlichen Weise um, auf die auch Siegbert Rampes Ausführung zur musikalischen Interpretation des Generalbasses passt: „Darüber hinaus ist der Generalbass aber nicht nur die bloße Begleitung, sondern eine musikalisch-klangliche Ergänzung (…) Damit wird der Generalbass zu einer musikalisch in sich geschlossenen und souveränen zusätzlichen Partie, die wie eine Liedbegleitung, welche aus dieser Praxis hervorging, auch für sich Bestand hat.“[39]

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Mehr Infos gibt es hier:

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und in Büchern

Quellen

 

Noten

The New Realbook, ohne Herausgeber, Petaluma, Sher Music 1988.

Audioaufnahmen

Bill Evans Trio, A Portrait in  Jazz (1959), Riverside, 1960.

The Oscar Peterson Trio, A jazz portrait of Frank Sinatra,  Verve, 1959.

The Oscar Peterson Trio, Nighttrain (1962), Verve Records 1963.

Frank Sinatra, Witchcraft (Single), Capitol, 1957.

Sonny Stitt sits in with the Oscar Peterson Trio

 

Nachschlagewerke

Duden Bd.5, Fremdwörterbuch ,Mannheim, Brockhaus, 1990. S.473.

Ralf Dombrowski, Basisdiskothek Jazz, Stuttgart, Reclam,2005.

Ekkehard Jost und Wolf Kampmann, Reclams Jazzlexikon, 2. Auflage Stuttgart, Reclam, 2009.


Selbständige Publikationen

Paul F. Berliner, Thinking in Jazz, Chicago, The University of Chicago Press 1994.

Greg Gelb, 1959 Jazz-a historical study and critical analysis of jazz and its artists and recordings in 1959, Grensboro 2008.

Richard Müller-Freienfels, Psychologie der Musik, Wiesbaden, Springer Fachmedien (Ohne Jahresangabe, Erstveröffentlichung 1936).

Oscar Peterson und Richard Palmer, Oscar Peterson Meine Jazz-Odyssee, aus dem englischen übersetzt von Henning Dedekind, Höfen, Hannibal 2003.

Siegbert Rampe, Generalbasspraxis 1600-1800, Laaber, Laaber 2014

Wolfgang Sander, Keith Jarrett-eine Biografie, Berlin, Rohwolt 2015.

Donald L Wilner, Interactive jazz improvisation in  the Bill Evans Trio 1959-1961 a stylistic study of advanced double bass performance, Coral Gabels, University of Miami 1995.

 

Artikel

„E.K.“: Oscar Peterson – A Jazz Portrait of Frank Sinatra (Verve MGV 8334), in: HiFi Stereo Praxis, Jul.1962, S. 284.

Gene Lees: Oscar Peterson – A Jazz Portrait of Frank Sinatra (Verve), in: Down Beat, 28/19 (14.Sep.1961), S. 30 (R).

Horst Lippmann: Bill Evans – Everybody Digs Bill Evans (Riverside), Portrait in Jazz (Riverside), in: Jazz Podium, 9/12 (Dec.1960), S. 282-285.

Andreas Luckner in: MUSIK-KONZEPTE Neue Folge, München, hrsg. von Tadday Ulrich November 2007, S.45.

Eric T. Vogel: Bill Evans Trio – Portrait in Jazz (Riverside), in: Jazz Podium, 9/12 (Dec.1960), S. 286.

CD-Rom

Tom Lord, The Jazz Discography, Version 14.0,CD-R, Chilliwack,B.C., 2014.


[1] Bill Evans (1929-1959), Ray Brown – Eine Suche nach den Gründen seines Vorbildcharakters für Generationen von Bassisten & Scott LaFaros Jazzbass Neuerungen.

[2]   Vgl. Horst Lippmann: Bill Evans – „Everybody Digs Bill Evans“ (Riverside); „Portrait in Jazz“ (Riverside), in: Jazz Podium, 9/12 (Dec.1960), p. 282-285.

[3] BILL EVANS TRIO, A PORTRAIT IN JAZZ (1959), CD, Riverside OJC20 088-2, (ohne Jahresangabe).

[4] Horst Lippmann: Bill Evans – „Everybody Digs Bill Evans“ (Riverside); „Portrait in Jazz“ (Riverside), in: Jazz Podium, 9/12 (Dec.1960), p. 282-285

[5] Tom Lord, The Jazz Discography, Version 14.0,CD-R,  Chilliwack,B.C., 2014.

[6] Der Begriff Mainstream wird hier im ursprünglichen Sinn des Duden: Mainstream= Hauptstrom verwendet und nimmt damit keinerlei Wertung vor. Er meint hier explizit nicht die Bedeutung die der Duden für Mainstream in Jazz verschlägt:.. keinem Stilbereich eindeutig zuzuordnen ist. Vgl:  Duden Bd.5, Fremdwörterbuch, Mannheim, Brockhaus, 1990. S.473.

[7] Oscar Peterson, Meine Jazz-Odyssee, S.214-215.

[8] The Oscar Peterson Trio, A jazz portrait of Frank Sinatra.

[9] E.K., Oscar Peterson – A Jazz Portrait of Frank Sinatra, S. 284.            

[10] Gene Lees, Oscar Peterson – „A Jazz Portrait of Frank Sinatra“ (Verve), in: Down Beat, 28/19 (14.Sep.1961), p. 30 (R), S.30.

[11] Ekkehard Jost und Wolf Kampmann Wolf, Reclams Jazzlexikon, S.413.

[12] Ralf Dombrowski, Basisdiskothek Jazz, S.174.

[13] The Oscar Peterson Trio, Nighttrain, 1963.

[14] The Oscar Peterson Trio, A jazz portrait of Frank Sinatra, CD Booklett.

[15] Bill Evans Trio, A Portrait in  Jazz.

[16] Vgl.Booklet, Bill Evans Trio, A Portrait in  Jazz.

[17] Vgl.Booklet, Bill Evans Trio, A Portrait in  Jazz.

[18] Donald L Wilner, Interactive jazz improvisation in  the Bill Evans Trio 1959-1961 a stylistic study of advanced double bass performance, S.69.

[19] Eric T. Vogel: Bill Evans Trio – „Portrait in Jazz“ (Riverside), in: Jazz Podium, 9/12 (Dec.1960), p. 286.

[20] Dombrowski Ralf, Basisdiskothek Jazz, S. 73.

[21] Ekkehard Jost und Wolf Kampmann, Reclams Jazzlexikon, S.167.

[22] Ralf Dombrowski Ralf, Basisdiskothek Jazz, S. 73.

[23] Frank Sinatra, Witchcraft (Single), Capitol, 1957.

[24] https://en.wikipedia.org/wiki/Witchcraft_(1957_song)

[25] The Oscar Peterson Trio, A jazz portrait of Frank Sinatra,  Verve, 1959.

[26] Bill Evans Trio, A Portrait in  Jazz (1959), Riverside, 1960.

[27] The New Realbook, S.407.

[28] Block-Chords oder locked hands style bezeichnete ne Technik in der die Melodie in Oktaven gespielt wird. Der Zwischenraum wird Tönen der Zugrundeliegenden Melodie aufgefüllt.

[29] Ray Brown – Eine Suche nach den Gründen seines Vorbildcharakters für Generationen von Bassisten.

[30] Takt 8,16,24,31und 72.

[31] Takt 5 und Takt 37 sind identisch.

[32] Takt 25-28 und Takt 65-68.

[33] Richard Müller Freienfels. Psychologie der Musik, Wiesbaden, Springer Fachmedien, Ohne    Jahresangabe (Erstveröffentlichung 1936), S. 63.

[34] Andreas Luckner in:  MUSIK-KONZEPTE Neue Folge, S.45.

[35] Ray Brown – Eine Suche nach den Gründen seines Vorbildcharakters für Generationen von Bassisten

[36] Im Zusammenhang des Textes wäre die Übersetzung hier eher Verzauberung als Hexerei.

[37] „Play motive and follow your Ideas“ ist ein Unterrichts-Spruch von Richie Beirach

[38] Wolfgang Sander, Keith Jarrett-eine Biografie, S.123.

[39] Siegbert Rampe, Generalbasspraxis 1600-1800, S.16-17.

 

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